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Beitrag vom 16.02.2004
Berlin eröffnet zum 3. Mal seine eigene Biennale für Zeitgenössische Kunst
Gaby Miericke-Rubbert
50 internationale KunstproduzentenInnen der Gegenwartskunst und 30 cineastische Werke werden an 3 Orten vom 14.2. bis zum 18.4.2004 der Öffentlichkeit vorgestellt
Nicht nur Sydney, Venedig, Montreal und Rotterdam, nein auch Berlin mausert sich nun zur Biennale-Stadt. Bisher im 3-Jahres-Rhythmus organisiert, soll zukünftig sogar jedes zweite Jahr dieses bedeutende Spektakel der Gegenwartskunst durchgeführt werden können. Kulturstaatsministerin Christina Weiss hat die 3. Biennale am Freitag, den 13. Februar 2004 höchstpersönlich eröffnet und somit ein Zeichen dafür gesetzt, dass die Förderung dieses umfassenden Kunstereignisses demnächst Sache des Bundes und damit in guten, weil wohlhabenderen Händen sein wird.
An drei Veranstaltungsorten, dem Martin-Gropius-Bau, Kunst-Werke "Institute for Contemporary Art" und im Kino Arsenal, können Interessierte einem internationalen Spektrum an bildender, architektonischer, performativer, filmischer, sonischer und urbaner Produktionen begegnen.
Von den 50 ausstellenden KünstlerInnen leben und arbeiten ungefähr die Hälfte in unserer Stadt. Bei vielen Arbeiten wird das Berlin der 80er, 90er oder des neuen Jahrtausends beleuchtet, unter anderem in seinen Spezifika der Teilung, der Vereinigung und der neu gewählten Gesamt-Haupstadtrolle. Die Ausstellung ist in fünf große Themenkomplexe, die sogenannten HUBs (Ankerpunkte) untergliedert, die sich über die drei Biennale-Orte verteilen: HUB Migration, HUB Urbane Konditionen, HUB Sonische Landschaften, HUB Moden und Szenen und HUB Anderes Kino.
Ute Meta Bauer, die künstlerische Leiterin des Festivals, hat mit dieser Biennale versucht, einem neuen Kunstverständnis Ausdruck zu verleihen. Nicht mehr alternative, subkulturelle Produktionen der 80er und 90er Jahre, sondern gesellschaftspolitische und sozialkritische Sichtweisen sollen künstlerisch transportiert werden.
Dabei gelingt es besonders den filmischen und fotografischen Werken, gesellschaftliche Schattenseiten von Metropolen zu thematisieren, wie etwa die Docklands von Liverpool (Melik Ohanian), den Antiglobalisierungskampf in Genua (Marcelo Expósitos) und die Pappbehausungen japanischer Obdachloser (Ryuji Miyamoto), um nur wenige zu nennen.
Interessant ist auch der Ansatz der Macherinnen im sonischen HUB, die sich mit den Aktivitäten von Frauen und ihrer Repräsentation im elektronischen Musikbereich beschäftigt haben. Geschlechterklischees sollen dekonstruiert, die Männerdomäne im Gitarren- und Computerspiel aus der Frauenperspektive unterminiert werden (Ausstellungsort: Kunst-Werke). Mit einer Sammlung von Musik, Texten, Videos, Hörbeispielen, Plattencovers und Plakaten entsteht ein "Archiv weiblicher Repräsentationsstrategien" in der Musik. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das "Girls Band Projekt" der Norwegerin Maria Bustnes, das hier mit Auftrittsmitschnitten und Interviews die Entstehung einer Mädchengruppe als exemplarisches Beispiel für die Stellung und die Erfahrungen von Frauen in der Rockmusik aufzeichnet (Ausstellungsort: Kunst-Werke).
Als glanzvolle Finnissage der Biennale wird vom 16.4.-18.4.04 ein dreitägiger "Performance Jam" in KW "Institute for Contemporary Art" Liverperformances und Jamsessions auf die Bühne bringen.
Alles in allem sind die Ausstellungen sehr seminaristisch angelegt, die Kunst spricht selten für sich selbst. Immer wieder müssen die BesucherInnen ausführliche und ermüdende Erklärungen und Anleitungen zum Verständnis lesen und viel Zeit für längere Film- und Hörsequenzen einkalkulieren.
Erfrischend unkompliziert findet frau hingegen kreative und anregende Sehweisen, Geruchsarten und Hör- und Tasterfahrungen von einigen Kunstproduzentinnen wie z.B. von Sissel Tolaas aus Norwegen (Ausstellungsort: Kunst-Werke). Sie läßt uns mit ihrem Projekt "NOSOEAWE" äußerst sinnlich erleben, wie Berlin riecht und hat vier unterschiedliche Parfums kreiert, die die olfaktorischen Besonderheiten aller Himmelsrichtungen unserer Haupstadt zusammenfassen. Während der Norden eher durch eine Mischung von Alkohol, Mac Donalds, Maschinenöl und Solarium vertreten ist, tendiert der Westen unserer Stadt zu Partikeln von Cashmere, Geld, Wellness und chemikalischer Reinigung. Diese Duftstreifen läßt frau sich gern mal zur Schnupperprobe unter die Nase halten.
Oder Aura Rosenberg, die Impressionen aus Walter Benjamins Buch "Berliner Kindheit um 1900" in phantastischen großformatigen Farbfotografien visuell auferstehen läßt, äußerst bildhaft-plastische pralle Darstellungen von Schokolade und Weihnachtsmarktatmosphäre. Kindheitserinnerungen, die vermutlich auch die Eltern der Künstlerin, die 1939 vor den Nazis aus Berlin fliehen mussten, mit denen Walter Benjamins im Berlin der 30er Jahre geteilt haben werden (Ausstellungsort: Gropius-Bau).
Spannend ist auch Nomeda und Gediminas Urbonas "Ruta Remake", wo es darum geht, in Anlehnung an die postkommunistische Gesellschaft Litauens, unter Verschluss gehaltenen (weil "aufsässigen") Frauenstimmen wieder Gehör zu verschaffen. Dank einer komplexen Technik gelingt es, durch die Schatten von Handbewegungen Laute, Töne und Klänge zu erzeugen, alles dem unerschöpflichen weiblichen Stimmenreservoir entnommen. Hier werden die BesucherInnen zur Eigenaktivität eingeladen, mit den Händen zu "sprechen", durch geformte Schatten "Stimmen zu weben" (Ausstellungsort: Gropius-Bau).
Insgesamt eine etwas kopflastige, intellektualisierte Ausstellung, aber sehr facettenreich und anregend, für die Sie pro Ausstellungsort mindestens zwei Stunden Zeit einplanen sollten.
Im HUB Anderes Kino werden vom 18.2 bis zum 18.4.2004 im Kino Arsenal Filme über die DDR oder zu schwul-lesbischen Themen gezeigt. Dieser spezielle Schwerpunkt beschäftigt sich vor allem mit dem kritischen Realismus in der ostdeutschen Kino- und Kunstpraxis. Mit der Ausbürgerung Biermanns entwickelte sich in der DDR eine Art oppositionelle Subkultur, die ästhetischen und gesellschaftlichen Ungehorsam praktizierte. Es entstand eine aktive Super-8-"Underground"-Szene, die vorbei an offizieller Kunst- und Informationspolitik eigene abweichende Lebenserfahrungen von anderer Sexualität, sprich Homosexualität, thematisierte.
Hier werden Filme von namhaften RegisseurenInnen wie Ulrike Ottinger, Rosa von Praunheim und Jean-Luc Godard zu sehen sein.
Titel wie "Ich bin meine eigene Frau" (GER 1992) und "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (FRG 1970) beide von Rosa von Praunheim, "Solo Sunny" (GDR 1979) von Konrad Wolf, "Deutschland Neu(n) Null" (F 1991) von Jean-Luc Godard, "In der Fremde" (FRG/IR 1974) von Sohrab Shahid Saless und 25 andere interessante Dokumentar- und Spielfilme stehen auf dem Programm.
Das Filmprogramm und Hinweise auf begleitende Veranstaltungen finden Sie unter:
www.berlinbiennale.de
Kontakt: Tel.: 030-28 44 50 30
office@berlinbiennale.de
Berlin Biennale Adressen:
KW (Kunst-Werke) Institute for Contemporary Art
Auguststr. 69
10117 Berlin-Mitte
www.kw-berlin.deMartin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstr. 7
10963 Berlin-Kreuzberg
www.gropiusbau.de
Kino Arsenal
Filmhaus
Potsdamer Str. 2
10785 Berlin-Mitte
www.fdk-berlin.de